
Avatare erledigen den Online-Einkauf
Als einer von wenigen Wirtschaftszweigen sorgt der Handel über das Internet sogar in Europa für zweistellige Wachstumsraten. Wohin geht die Reise im E-Commerce und der damit verbundenen Logistik? Mit dieser Frage beschäftigt sich eine Studie der Deutschen Post DHL. Liefern künftig Drohnen unsere Einkäufe aus? Vier Szenarien geben Einblick in künftige digitale Handelswelten und sorgen für interessante Diskussionsanstösse.
Jürgen Gerdes gab sich vorsichtig. «Wie die Zukunft wirklich aussehen wird, können wir natürlich nicht vorhersagen», betonte der Konzernvorstand für Post, E-Commerce und Parcel bei Deutsche Post DHL während der Präsentation der Studie «Global E-Tailing 2025» in Berlin. Die Studie solle aber den Blick für mögliche Entwicklungen öffnen – auch wenn manches vorhergesagte Szenario zunächst einmal unwahrscheinlich erscheine. Fest steht für Gerdes jedoch eines: E-Commerce wird nicht nur in den Industrienationen stärker als bisher angenommen wachsen, sondern auch den Handel in Schwellen- und Entwicklungsländern massgeblich beeinflussen. Der Logistik kommt dabei eine wichtige Rolle als Wegbereiter zu.
Noch viel Potenzial
Abseits von der DHL-Studie ist bereits die Gegenwart spannend genug. Allein in Deutschland beziffert der deutsche Bundesverband E-Commerce und Versandhandel e.V. (Bevh) den Umsatz im Online-Handel mit Waren auf 39,1 Mrd. EUR im Jahr 2013. Das entspricht einem Wachstum von 41,7% gegenüber dem Vorjahr. Anders ausgedrückt: E-Commerce hat bereits einen Anteil von 9% am gesamten Einzelhandelsvolumen. In anderen grossen Indus-trienationen sieht es nicht viel anders aus. Nach Einschätzung der Deutschen Post steht der Boom dabei erst am Anfang. Selbst in dem konservativsten Szenario prognostiziert die Studie für 2025 einen E-Commerce-Anteil von 20% in Schwellenländern und 25% in den Industriestaaten. Dabei zieht die Studie neben den reinen Online-Umsätzen auch die Umsätze «hybrider Handelsformen» heran. Gemeint sind Multichannelkonzepte, bei denen zumindest ein Teil der Transaktion über das Internet abgewickelt wird. Dem reinen Online-Handel gesteht die DHL-Studie im schlechtesten Fall einen Anteil von 15% zu. Wie bei Szenariobetrachtungen üblich, sind die Wachstums- und Umsatzprognosen nicht unbedingt die entscheidenden Faktoren der E-Tailing-Studie. Ausgehend von möglichen politischen, gesellschaftlichen, technologischen und wirtschaftlichen Gesamtentwicklungen werden in den Szenarien vornehmlich qualitative Trends beschrieben.
Asien als Motor
Das Szenario 1 – von den Studienmachern etwas blumig als «Hybrider Konsum in digitalen Handelswelten» überschrieben – geht von einem moderaten, aber stabilen Wachstum aus. Treibende Kräfte sind vor allem die Volkswirtschaften Asiens. Dabei setzt sich das Modell der Leistungsgesellschaft global durch. Gerade in den entwickelten Volkswirtschaften nehmen soziale Gegensätze zu. Für die «Sieger» der Leistungsgesellschaft spielt Verbraucherfreundlichkeit eine wichtige Rolle, für den überwiegenden Teil der Menschen ist der Preis am wichtigsten. Eine Technologierevolution bleibt in diesem Szenario aus – Tablets und Smartphones sind weiterhin Stand der Technik. Die Handelsunternehmen bieten ihre Ware online und in stationären Shops an, wobei letztere immer stärker einen Showroom-Charakter bekommen.
Zeitnahe Lieferung – oft noch am selben Tag – an jeden gewünschten Ort ist auch ein Standardservice des stationären Handels. Entsprechend hoch ist der Bedarf an Logistikdienstleistungen, wobei sich die Dienstleister informationstechnisch mit dem Handel und dessen Kunden vernetzen müssen. Der Einfluss des Warenempfängers auf die Logistikkette nimmt zu. Der Anteil des reinen Onlinehandels liegt in den Industriestaaten inklusive China bei 20%, dazu kommen weitere 20% Umsätze aus hybriden Handelsformen.
Selbstverwirklichung im Fokus
Das Szenario 2 («Selbstinszenierung in virtuellen Gemeinschaften») strotzt vor Optimismus. Der Menschheit geht es gut; es hat sich global eine kaufkräftige Mittelschicht herausgebildet. Im Gegensatz zu Szenario 1 sind die Menschen eher freizeit- als arbeitsorientiert. Selbstverwirklichung ist wichtiger als Erfolg im Job. «Lifestyle-Communities» geben die Trends vor und haben grossen Einfluss auf das Kaufverhalten breiter Bevölkerungsschichten. Kleine Online-Plattformen haben sich auf die Bedürfnisse der jeweiligen Community-Mitglieder spezialisiert. Grosse Online-Händler bedienen den Massenmarkt. So genannte Wearables sind elementarer Bestandteil des Alltags. Die tragbare Technik dient unter anderem dazu, das eigene Verhalten zu messen und zu optimieren – etwa bei Ernährung und Fitness. Beispielsweise könnte das Gerät vom Verzehr eines bestimmten Gerichts aufgrund dessen Kalorienzahl abraten – und auf gesündere Alternativen hinweisen. Zudem dienen die Wearables der Kommunikation und als Bestellmedium. Wie in Szenario 1 boomt der Online-Handel, und das Transportvolumen der Logistiker steigt – auch weil die Individualisierung der Nachfrage viele kleinteilige Lieferströme verursacht. Was allerdings auch Nachteile hat: Angesichts massiver Verkehrsprobleme beginnen Ballungsräume damit, die Zustellung zu regulieren. Logistiker müssen Kooperationen eingehen – und experimentieren mit innovativen Zustellformen. In diesem Szenario hat DHL seine «Paketkopter» genannte Zustelldrohne angesiedelt. Einige Logistiker betreiben 3-D-Druckereien und steigen so in die Produktion ein. Der Anteil des reinen Onlinehandels liegt bei 30% in den Industrieländern – sowie weiteren 25 bis 30% für hybride Handelsformen.
Schöne neue Welt
Das Szenario 3 «Künstliche Intelligenz im Digitalen Handelskosmos» geht technologisch am weitesten. Datenbrillen, oder smarte Kontaktlinsen und andere Wearables sind Allgemeingut. Intelligente Avatare beraten die Menschen beim Einkauf oder erwerben für ihren Besitzer sogar selbstständig Waren des wiederkehrenden täglichen Bedarfs. Konsumentendaten sind frei verfügbar; Webshops passen ihre Angebote in Echtzeit an die Kundenprofile an. Same-Day-Delivery ist Standard (auch mit Drohnen), in den Metropolen sogar Same-Hour-Delivery. Automatische Belieferungen sogar schon vor der Kundenbestellung sind Stand der Technik. Aufgrund hochintelligenter Sensoren könnten Waren sogar in den Kofferraum geparkter Fahrzeuge ausgeliefert werden. Produktpiraterie und Cyberkriminalität sind erhebliche Probleme, Logistikdienstleister bieten deshalb spe- ziell gesicherte Lieferketten an. Der grenzüberschreitende Handel hat stark zugenommen und wird von den grossen Logistikern dominiert. Teilweise macht der Handel mit eigenen Logistikservices den etablierten Unternehmen Konkurrenz. Der Anteil des reinen Online-Handels in den Industrienationen liegt bei 40%, dazu kommen 40 bis 45% Umsatzanteil aus hybriden Handelsformen.
Lokalisierung statt Globalisierung
Das Szenario 4 («Kollaborativer Konsum in einer regionalisierten Handelslandschaft») ist das Krisenszenario. Die Weltwirtschaft stagniert. Protektionismus und hohe Energie- und Rohstoffpreise führen zu einer Regionalisierung der Wirtschaft. Nachhaltigkeit und Energieeffizienz sind bestimmende Einflussfaktoren beim Einkauf. Leasing- und Sharingmodelle blühen auf. Das persönliche Eigentum verliert an Stellenwert. Wichtig ist die Verfügbarkeit. Defekte Geräte und Gebrauchsgüter werden sogar wieder repariert. Sie sind modular aufgebaut, um den Teiletausch zu erleichtern. Logistiker leiden unter dem Rückgang der Transporte, profitieren aber zumindest von der Ersatzteillogistik und dem regionalen Warenaustausch. Ein grenzüberschreitender Online-Handel bleibt die Ausnahme. Der Anteil des reinen Online-Handels stagniert bei 15% in den Industrieländern; dazu kommen 15% aus hybriden Handelsformen.
Als Fazit lässt sich lediglich eines mit Gewissheit sagen: Es kommt bestimmt alles anders. Aber in der Studie geht es auch weniger um präzise Vorhersagen, sondern um den Einstieg in die Diskussion über moderne Handels- und Logistikprozesse. Und das ist dank polarisierender Szenarien auch gelungen.