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Von: Torsten Kollande


Artikel Nummer: 36610

Giftgrün im Sattel

«Luft und Bewegung sind die eigentlichen Sanitätsräte.»   Theodor Fontane (1819 – 1898), deutscher Schriftsteller, Journalist,Erzähler und Theaterkritiker


Corona hat mich zum Radfahrer gemacht. Ich bin quasi in den vergangenen 14 Monaten, seit uns das Virus Stück für Stück in den Würgegriff genommen hat, unfreiwillig zum Umweltaktivisten geworden! Toll – oder? Umweltaktivist! Dafür ernte ich übrigens enorm viel Beifall von meiner Familie und aus meinem Umfeld – via Whatsapp, SMS oder ähnlich kontaktlosen, sozialen Medien. Ist auch sicherer.

 

Früher bin ich schon mal ab und zu mit meinem Rad zum Brötchenholen gefahren. War ja quasi nur um die Ecke. Inzwischen nutze ich meinen Drahtesel selbst bei Regen, Hagel und Schnee. Mit dem nahenden Ende der ersten Jahreshälfte sollten derartige Wetterereignisse aber hoffentlich verschwinden. Hoffentlich! Klar ist das allerdings nicht. Auf das Wetter ist schliesslich kein Verlass.

 

Egal. Das alles schreckt mich nicht mehr. Ich habe mich damit arrangiert. Beheizbare Socken und Fahrradgriffe gehören zu meiner Standardausrüstung wie ein ordentlich dimensionierter Spritzschutz am vorderen Radschützer. Regengamaschen und ein giftgrüner, atmungsaktiver Regenoverall sind zu meinen liebsten Kleidungsstücken avanciert. Nicht nur aus Sicherheitsgründen. Der Anzug leuchtet in der Dunkelheit. Echt cool. Und mein Helmtrauma habe ich auch überwunden. Sobald ich so einen Deckel auf dem Kopf hatte, wurde ich das Gefühl nicht mehr los, eingesperrt zu sein. Das hat sich geändert. Jetzt habe ich einen Helm, der durch Batterie gesteuerte, variabel einstellbare Öffnungen jeder Wetter- und Geschwindigkeitssituation individuell angepasst werden kann. Selbstverständlich sind in diesen Helm auch Blinker und Kopfhörer integriert. 

 

Zur Arbeit strample ich knapp 30 km auf meinem knallharten, famos eingerittenen Brooks Kernledersattel hin – one way. Inzwischen macht mir das Radfahren sogar Spass und soll darüber auch noch gesund sein. Von einem Sixpack bin ich zwar noch meilenweit entfernt, aber man soll ja die Hoffnung nie aufgeben.

 

Klar ist, dass Radfahren etwas mehr Zeit kostet als mit dem Auto von A nach B zu fahren. Das muss man wissen. Aber was macht das schon. Freunde zu treffen ist aus Sicherheitsgründen ohnehin vorläufig tabu, und was hätte man sich auch zu erzählen. Passiert doch nichts.

 

Und meine Familie geht auch nicht mehr auf die Barrikaden, weil ich weniger Zeit zu Hause verbringe. Diesbezüglich habe ich sogar eher den Eindruck gewonnen, dass momentan alles ein wenig entspannter läuft als vor Corona. Hat also noch was Gutes.

 

Ne, ne. Wir müssen da durch. Jammern hat noch nie geholfen. Vermutlich hat der Schweizer Humanist und Kulturhistoriker Jacob Christoph Burckhardt (1818 – 1897) Recht, wenn er sagt: «Nur in der Bewegung, so schmerzlich sie sei, ist Leben.»        

 

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