
Wie ein Schiff, das die Welt umrundet
«Alles fliesst», wusste schon der griechische Philosoph Heraklit. Für internationale Handelsströme gilt das insbesondere. Ihren Anfang nahmen maritime Zentren in der Levante, von wo aus sie über Europa via die USA nach Asien wanderten. Geht nun die Verlagerung in Richtung Westen weiter?
Seit Menschengedenken dienen schwimmende Hilfsmittel dem Handel. Schon in der Antike wurden Schiffe für den Warenaustausch verwendet – mittlerweile ist die maritime Wirtschaft eine durch und durch internationale Industrie.
Im Laufe der Jahrtausende haben sich die weltweiten Warenströme dabei immer wieder stark verändert. Besonders spannend ist in diesem Zusammenhang die Verknüpfung von maritimen Entwicklungen und wirtschaftlichen oder politischen Hintergründen. Auf der anderen Seite hat auch die Schifffahrt als eines der wichtigsten Vehikel für das internationale Handelswachstum einen strategischen Einfluss auf volkswirtschaftliche Zusammenhänge. Als Voraussetzung für die Globalisierung ist der internationale Transport einer der Hauptgründe dafür, dass sich die Welt mittlerweile von einem nationalen System zu einem eng miteinander verwobenen Wirtschaftsnetz entwickelt hat. Im Transportgeschäft ist es aus diesem Grund bereits seit jeher ganz selbstverständlich, die Welt aus einer globalen Perspektive zu betrachten.
Asien bestimmt die Top Ten
Europa spielt traditionell eine wichtige Rolle in der maritimen Wirtschaft. Altehrwürdige Handelszentren wie Hamburg (Deutschland) oder London (England) galten lange als unangefochtene Zentren der Schifffahrtswelt. Doch seit dem vergangenen Jahrhundert ändern sich die Verhältnisse. Mittlerweile liegen neun der zehn weltweit grössten Häfen gemessen am Umschlagvolumen in China. Die Nase vorn hatte im vergangenen Jahr erneut der Hafen Schanghai, auch wenn ihm der Branchenzweite Singapur immer wieder sehr dicht auf den Fersen ist. Mit dieser Entwicklung einher geht eine Standortverlagerung von Firmen entlang der gesamten Logistik und maritimen Dienstleistungskette. Grund für diese Entwicklung ist insbesondere eine Verlagerung der Fertigungsindustrie, vor allem nach China. Mittlerweile ist die Umzugswelle in diesem Bereich zwar abgeebbt. Dafür strömen Logistiker und Anbieter von Dienstleistungen sämtlicher Art für die Transportbranche in Richtung Osten. So verzeichnet beispielsweise das südostasiatische Singapur seit Jahren einen ungebrochenen Zustrom an Unternehmen aus Übersee, die in dem Inselstaat ihre regionalen Hauptsitze eröffnen oder aber ihre Aktivitäten gleich ganz von dort steuern. Die singapurische Regierung hat die maritime Wirtschaft als eine ihre wichtigsten Wirtschaftsbereiche definiert und so sind neben der geografischen Lage vor allem attraktive Steuerpakete Grund für die Umzugsaktivitäten.
Dubai holt auf
Doch die Konkurrenz schläft nicht. Als einziger Hafen ausserhalb des Fernen Ostens unter den Top Ten sticht Dubai (VAE) auf Platz neun bereits heute aus der Masse heraus. Glaubt man Analysten, so dürften Häfen im Mittleren Osten mittelfristig jedoch eine weitaus grössere Rolle als internationale Drehscheibe spielen.
Insbesondere Dubai hat mit seinem Hub Jebel Ali Grosses im Visier. Das Emirat will bis 2030 den bisherigen Spitzenreiter Schanghai in Sachen Umschlagvolumen überrundet haben und nimmt aus diesem Grund viel Geld für Investitionen in seine Infrastruktur in die Hand (vgl. ITJ 21-22 / 2013, S. 27). Derzeit verfügt Jebel Ali über eine Kapazität von 14 Mio. Teu pro Jahr. Bis 2030 sollen es nach Vorstellung des Betreibers DP World allerdings bis 55 Mio. Teu sein. Ebenso wie Singapur, das bis 2050 übrigens einen neuen Hafen mit einer jährlichen Kapazität von bis zu 68 Mio. Teu bauen will, setzt Dubai auf seine geografische Lage. Neben Asien und Europa liegt auch Afrika in direkter Nachbarschaft, wovon man sich in der Wüste einen Wettbewerbsvorteil erhofft.
Gegenwind für Dubai kommt jedoch nicht nur aus Asien, sondern auch aus den eigenen Reihen. So hat beispielsweise die omanische Regierung jüngst grünes Licht für den neuen Logistik Hub «South Batinah» gegeben. Das neue Zentrum liegt ungefähr auf halber Strecke zwischen der traditionsreichen Stadt Muskat und dem neuen Hafen Sohar, der ab kommenden August sämtliche Aktivitäten des bisherigen Umschlagplatzes Muskat übernimmt (vgl. ITJ 23-26 / 2014, S. 16).
Auf der Westlinie
Wenn Dubais Rechnung aufgeht, so würde dies nicht nur für Freude bei den Scheichs sorgen, sondern der britische Ökonom Martin Stopford, Non-Executive President von Clarkson Research, sähe seine These von der «Westlinie» bestätigt. Er argumentierte bereits in den 1990er Jahren, dass sich der Welthandel innerhalb der vergangenen 5000 Jahre kontinuierlich westwärts verlagert hat. Ausgangspunkt ist dabei der heutige Libanon um 3000 v. Chr. Das Zentrum der maritimen Wirtschaft wanderte von hier im Laufe der anschliessenden Jahrtausende über Griechenland, Rom und Norditalien, bis es sich in Nordwesteuropa ansiedelte. Die Hansestädte in Deutschland waren eine Folge und mit Einführung der Dampfschifffahrt spielte die Ostküste der USA schliesslich ebenfalls eine grosse Rolle. Im 20. Jahrhundert gewann der Pazifikraum mit Japan, Südkorea und China an Bedeutung. Und auch der Aufstieg Singapurs passt in diese Argumentation – eine Verlagerung nach Dubai wäre nun der nächste logische Schritt. Dabei steht jede dieser Veränderungen im Zusammenhang mit wirtschaftlichen Aktivitäten der jeweiligen Staaten, und während alte Zentren an Bedeutung verlieren, steigen neue auf. Wenn man so will ist die moderne Handelswelt wie ein Schiff, das die Welt umrundet, so Stopford.
Wettkampf in den USA
Auch wenn sich die Handelszentren der maritimen Wirtschaft derzeit nicht auf dem amerikanischen Kontinent befinden, hier spielt sich das momentan wohl extremste Wettrüsten unter den Betreibern von Containerterminals ab. Grund dafür ist der Ausbau des Panamakanals, der für eine der grundlegendsten Veränderungen in der Geschichte der maritimen Wirtschaft sorgt. Das Datum der Fertigstellung verschiebt sich zwar immer wieder nach hinten (derzeit ist wohl mit 2015 oder 2016 zu rechnen), dennoch wirft die Eröffnung bereits grosse Schatten voraus. Wenn künftig Schiffe mit einer Kapazität mit bis zu 13 000 Teu den Panamakanal passieren können, so kann es sich durchaus rechnen, aus Asien kommend durch die Wasserstrasse in den US-amerikanischen Golf oder an die Ostküste zu fahren. Aus diesem Grund bauen Häfen in diesen Regionen ihre Infrastruktur aus und machen sich bereit für die Abfertigung grösserer Schiffe: Brücken werden höher, Liegeplätze länger und Containerkrane grösser.
Ost versus West
Bislang erreicht Ladung für diesen Teil des wichtigen Verbrauchermarkts USA das Land vor allem über Häfen an der Westküste des Kontinents, allen voran Los Angeles und Long Beach. Dort wird sie per Bahn oder Lkw an ihre Endbestimmung weitertransportiert. Die Westküstenhäfen setzen in diesem Zusammenhang alles daran, ihre Position zu behaupten. Es ist jedoch davon auszugehen, dass sich die Marktanteile zwischen den Häfen an der West- und an der Ostküste Nordamerikas verschieben werden. Verschärft wird die Situation durch die Tatsache, dass seit einigen Jahren auch kanadische Häfen einen grösseren Anteil am Ladungsvolumen an der amerikanischen Westküste erzielen und insbesondere beim Umschlag in den US-amerikanischen Mittelwesten eine immer grössere Rolle spielen. Daraus folgen neue Kooperationen: so zum Beispiel zwischen den einst bitteren Konkurrenten Seattle und Tacoma, die seit Anfang dieses Jahres eine Interessengemeinschaft bilden und zusammen ihre Marktposition festigen wollen.
Durch den Ausbau des Panamakanals wittern aber auch die Häfen in der Karibik Morgenluft, allen voran Jamaika. Hier entsteht derzeit neben neuen Terminalanlagen, die auch für die Abfertigung von ULCV geeignet sind, eine regionale Sonderwirtschaftszone.
Chinesische Verhältnisse
Auf der anderen Seite der Welt setzt China derweil auf den Ausbau seiner Geschäftsbeziehungen, insbesondere mit Schwellenländern. Dadurch gewinnen Süd–Süd-Handelsverkehre an Bedeutung, vor allem mit Afrika und Südamerika.
Grund dafür sind wie so oft natürliche Ressourcen. So tritt China nicht nur als Abnehmer von Rohstoffen auf, sondern baut diese zunehmend lokal in Eigenregie ab. Neu – und anders motiviert – ist allerdings der verstärkte Ausgriff der Volksrepublik nach Europa. So ist der staatliche Schifffahrtskonzern Cosco mittlerweile in Griechenland höchst aktiv. Das Unternehmen ist der Ansicht, dass insbesondere der griechische Hafen Piräus viel Potenzial hat. Er soll sich nach Vorstellung der Chinesen nicht nur zum grössten Hafen im Mittelmeer entwickeln, sondern zudem zu einem der wichtigsten Umschlagzentren in der Region werden, das insbesondere als Einfallstor in den Balkan und Südeuropa ein grosse Rolle spielt. Andere Transhipmenthäfen im Mittelmeer wie beispielsweise das italienische Gioia Tauro hätten dann das Nachsehen.
Der Staat im Hintergrund
China und Dubai haben eins gemeinsam: Hinter den Aktivitäten von Firmen im maritimen Bereich stehen die jeweiligen Regierungen des Landes. Anders als in westlichen Demokratien gilt hier eine andere Wirtschaftsordnung – und somit andere Regeln, nach denen die verschiedenen Akteure eines Landes im Wirtschaftsgeschehen handeln. Das Ende der Geschichte ist noch lange nicht erreicht.
Handelsströme verlagern sich und Häfen reagieren. Doch letztlich sind diese Investitionen ein Glücksspiel. Zu viele Faktoren beeinflussen die verschiedenen Routen, über die Verlader ihre Produktions- und Absatzwege auch künftig steuern werden (vgl. 70 f.). Jüngstes Beispiel ist die Entwicklung der Beziehungen zwischen Russland und der EU. Aber auch wirtschaftliche Aspekte sorgen immer wieder für Veränderungen: Nearshoring, z.B. für die USA in Mexiko, oder die zunehmende Verlagerung von Fertigungszentren von Chinas Küsten ins Inland sind Beispiele. Aber wie heisst es beim Spiel? Wer nicht wagt, der nicht gewinnt.