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  • Abhängigkeiten überwinden, sagt ESC-Präsident Roman Stiftner.

Von: Josef Müller


Artikel Nummer: 41565

Zuverlässigkeit vor Preis

Der ESC weiss, dass auch die Verlader zur Resilienz der Lieferketten beitragen können.   Nicht nur Kiew, sondern auch Taipeh, nicht nur Reeder, sondern auch Lieferanten – die Supply Chains sind aktuell an deutlich mehr Stellen gefährdet als noch vor wenigen Jahren. In Wien erläuterte Roman Stiftner, Präsident des European Shippers’ Council, dem ITJ-Korrespondenten Josef Müller, wie die Verlader Europas auf Engpässe und Oligopole im Transport- und Rohstoffsektor reagieren.


Derzeit vollzieht sich ein schmerzlicher Wandel in der globalen Wirtschaft nicht zuletzt ausgelöst von der Corona-Pandemie und dem Ukraine-Krieg. «Die Pandemie hat gezeigt, dass unsere Supply Chains krisenanfällig sind und wir deshalb gemeinsame Anstrengungen mit der Politik unternehmen müssen, sie resilienter zu gestalten», erklärt Roman Stiftner, Präsident des European Shippers’ Councils gegenüber dem ITJ in Wien.

Der ESC unterstützt die Europäische Kommission bei den Massnahmen zur Reduktion des Klimawandels auch mit der Konsequenz, dass Verlader in Zukunft ETS-Zertifikate für den Transport kaufen werden müssen. Die Politik ist hier aufgerufen, die unterschiedlichen Belastungen der Modalitäten durch das geplante ETS-Regime möglichst gering zu halten und doppelte Verrechnungen zu vermeiden. Die Einnahmen durch die Zertifikate müssten unbedingt in eine moderne Infrastruktur und digitale Innovation investiert werden, fordert Stiftner.

Aktuell gilt seine Sorge den Spannungen nicht nur mit Russland, sondern auch in der Taiwan-Frage. Etwa 40% des weltweiten Bedarfs an Halbleitern wird in Taiwan gefertigt, weshalb Lieferstörungen vitale Auswirkungen auf Wertschöpfungsprozesse in Europa haben und auch dem Welthandel schaden würden.

Stiftner sagt: «Die Wiederherstellung der Resilienz ist die Priorität für das Supply Chain- Management. Kurzfristig wird die verladende Wirtschaft wohl der Situation mit Krisenmanagement beikommen können. Wir haben keinen Einfluss, wenn die chinesische Verwaltung durch ihre Zero-tolerance Covid-Politik Containerterminals kurzfristig schliesst. Ich bin überzeugt, dass sich die Zielprioritäten zugunsten der Qualität und Regionalität verschieben werden.» Praktisch bedeutet das, dass es nicht mehr darum gehen wird, eine Ware oder einen Rohstoff möglichst kostengünstig zu beziehen. Die Zuverlässigkeit des Eintreffens der Ware hat im Störungsfall mehr Einfluss auf die Kosten des Gesamtproduktionsprozesses als vergleichbar geringe Einkaufserfolge.

Nicht nur Reeder, auch die Lieferanten

Die derzeitige Marktlage im Seefrachtgeschäft stellt für Stiftner eine grosse Herausforderung für den Welthandel dar. Der Seeverkehrsmarkt werde von einer kleinen Zahl grosser Akteure beherrscht, das sei keine gute Ausgangsbasis für die grosse Bewährungsprobe gewesen, die die Corona-Krise für den Markt darstellte. Der Markt konnte den enormen Anstieg der Verbrauchernachfrage nicht bewältigen und führte zu Gewinnsprüngen bei den Container-Reedereien.

Die Gruppenfreistellungsverordnung (GFVO) für die Reeder sei im Moment nicht notwendig um die Hochsee-Schifffahrt zu schützen, aber es bestünden noch einige Verwerfungen aus der Vor-Coronazeit. Ein Grund für die GFVO sei die Steigerung der Effizienz auf dem Markt durch die Koordinierung der Kapazitäten, ist Stiftner überzeugt: «Für uns als Verlader ist es wirklich schwer vorstellbar, wie die Situation ohne eine GFVO ausgesehen hätte.»

Verschiedene Handels- und Industriebereiche in Europa haben Probleme bei der Rohstoffbeschaffung, weil sie häufig nur von einem Lieferanten abhängig sind. «Auf mehrere Lieferanten umzustellen, ist einfacher gesagt als getan. Kein verantwortungsbewusstes Unternehmen begibt sich fahrlässig in die Abhängigkeit eines einzelnen Lieferanten», so Stiftner.

Speziell im Rohstoffsektor, aber nicht nur dort, sind monopolartige Lieferantenstrukturen ein Faktum. Eine aktuelle Studie hat gezeigt, dass bei den strategisch wichtigen Metallen für Hochtechnologie eine vollkommene Abhängigkeit von China besteht.

Ein ganz aktuelles Beispiel dafür ist Magnesium. Es wird benötigt, um Aluminium- und Stahllegierungen herzustellen. Ohne Magnesium läuft kein Auto vom Band und kann keine Windkraftanlage errichtet werden. Europa ist zu 95% abhängig von China, und China hat die Lieferungen nach Europa bewusst und strategisch stark eingeschränkt. Die Folgen sind eine Preisexplosion und das Bewusstsein, dass in wichtigen Wertschöpfungsketten, wie unter anderem in der Automobilindustrie, Europa an Autonomie stark eingebüsst hat.

 

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